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Ursprung als eisprungloser Datensturm

von Thomas Milz

Bilder, Klänge und Kostüme. Arrangiert in einer die verführerische Fülle von Kaufhallen travestierenden Kunstkatakombe im Urbacher Museum am Widumhof. Ein die Räume miteinbeziehendes Gesamtkunstwerk der  „Fusion Performance Group" um Heinz H.R. Decker. Nicht zuletzt die Frage nach dem Ursprung wird hier mit einer Endlosschleife der Reproduktionen ins romantische Off verwiesen.

         

„Geklont-gespiegelt-gekrebst" heißt diese ebenso kühle wie engagierte Ausstellung, die mit spielerischer Schärfe auf einen absehbaren Wendepunkt der menschlichen Gattung reagiert. Decker und Gerty Kunder haben Fotografien erotisch aufgeladener Frauenkörper durch Fragmentierung  zunächst entsexualisiert und anonymisiert. Danach, durch digitale Prozesse, Spiegelungen und Reihungen, zu Fotobildern gefügt, auf denen die Ausgangsmotive zu kaum mehr identifizierbaren ornamentalen Mustern werden.

Um zu ermessen, was hier Neues geschieht, hilft ein Blick zurück in die Kunstgeschichte und zwar auf Gustave Courbets Gemälde „Der Ursprung der Welt" von 1866. Damals unerhört die alleinige Bildwürdigkeit einer provozierend  zur Schau gestellten  weiblichen Scham - auch dort aber schon der verhüllte, zusätzlich vom Bildrand abgeschnittene Frauenkopf. Dennoch ist bei Courbet eine ungezähmt-pralle Fleischlichkeit gemalt, die sowohl lockt wie  in ihrer Monumentalität zur furchtsamen Abwehr drängt. Nichts mehr davon bei Decker. Die ambivalente Monströsität der Courbet’schen Geschlechterspannung wird nun von einem seriell-sterilen Kamasutra aus Vereinigungsängsten à la Houellebecq verdrängt. Zur Fortführung der Gattung tritt nun das klinisch-saubere Labor an die Stelle der doch immer verstrickenden Frau. Ab nun gibt es asexuelles Klonen, stressfrei im Musterkatalog für Nachwuchsdesign zu bestellen!

Von hier aus ist auch der scheinbar affirmative Waren(haus)charakter der Ausstellung und sein subversives Anschmiegen ans Dekorative zu verstehen. Kritisch führt Decker damit vor, was aus dem Schaustück abendländischer Individualität - dem „unteilbaren" Subjekt - inzwischen längst geworden ist: beliebig austausch- und vervielfältigbares Muster im prallvollen Warenlager überschüssiger Arbeitskräfte.

Stellte Adorno bestürzt fest, dass in den deutschen KZ das bürgerliche Individuum zum vernichtbaren „Exemplar" gemacht wurde, so scheint die globale Weiterschreibung dieses Schreckens durch die aktuell möglichen Gen-Techniken  darin zu bestehen, dass der Mensch nur noch zum Pool zusammenbastelbarer „Muster"-Eigenschaften wird. Wie einen Abwehrzauber gegen diese Zumutungen im Muster zu verschwinden, lassen sich so die ausgestellten Gewänder und Accessoires von Daniela Maria Decker verstehen. Die Kostümdesignerin wendet die Fotomuster ihres Vaters praktisch an, indem sie sie auf  Stoffe anbringt: Komplementär ein dandyhaft-robuster Herren-Dreiteiler und ein hepburn-elegantes Cocktail-Kleidchen,  Krawatten, Taschen und Stulpen. Das offenbart mit beiläufiger Ironie  eine der heimlichen Funktionen von Mode: Sie trägt als äußeres Zeichen, was einem innerlich angetan wurde an die im wahrsten Sinne stoffliche Oberfläche! Der Angst sich gleichmachen, damit sie nicht Besitz von einem ergreift.

Ein Pfeifen im Walde, mit dem das Rauschen in den Ausstellungsräumen korrespondiert. Otto Kränzler leistet so etwas wie den technisch avancierten und zugleich perfidesten Beitrag zum Gesamtkonzept. Mit einem Curser tastet er verschiedene Bilder Deckers ab. Über eine spezielle Software werden nun zum Beispiel Hell-Dunkel-Informationen in Klänge - soll man sagen Musik? - verwandelt. Das so entstandene Fiepen, Schwirren, Flirren und Dröhnen wiederum wird erneut in grafisch darstellbare Informationen umgesetzt - und so gewissermaßen inzestuös ins Unendliche... -  Das hat etwas Bedrängendes und ist, als Antwort auf die beschwingt nervende Kaufhaus-Hintergrundmusik zu verstehen, nicht wirklich erleichternd.

"Darstellung der vollendeten menschlichen Natur", sei, so Richard Wagner 1849 in seinem Konzept des Gesamtkunstwerkes, das Ziel der Vereinigung der Künste. Als eine identifizierende Fortschreibung dieser Idee mit zugleich distanzierendem Hohn auf sie, mutet die vielschichtige Arbeit der "Fusion Performance Group" innerhalb der "Artamis"-Reihe für zeitgenössische Kunst in Urbach an.

Im Kellergewölbe des Bürgerhauses lenkt eine acht Meter lange Fototapete wie über eine große Schlachtbank hinweg den Blick auf eine Projektion an der Wand: Zerstückelte Gliedmaßen erinnern dort in ihrer neuen digitalen Komposition unangenehm nah an indische, verschlingende  Kultgöttinnen oder dämonische Zwitterwesen an gotischen Kathedralen. Schattenbilder an der Wand der platon'schen Gattungshöhle, die wir für die Realität zu nehmen bereit sind.

Welchen Kulten wird in der „Schönen Neuen Welt" wohl was zum Opfer gebracht werden? Eine Ausstellung, die mit künstlerischer Perfektion unangenehme Fragen stellt. Zum Beispiel nach dem künftigen „Ursprung" als eisprungsloser, geschichtsentleerter Datenmenge.