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concert sur passion

Performance concert sur passion

Idee und Aktion:
Heinz H.R.Decker
und Thea Kramel
Musik: Otto Kränzler
 

 

Den Wahnsinn inszeniert - Thea Kramel und H.R.Decker in der Siechenkirche

eri. Balingen. Es gehört schon ein tiefes Luftholen dazu, sich auf das aufdringliche Spiel mit dem Furchterregenden einzulassen, zu dem die Performance-Zuschauer beim Sommersprossen Auftakt im Siechenkirchlein aufgefordert wurden. Der Kulturverein hatte Ungewöhnliches versprochen - und das war es dann auch. Denn der Stuttgarter Künstler H.R.Decker und die Tänzerin Thea Kramel liessen mit ihrem concert sur passion, einer multi-medialen Fusion aus Bildern, Lichteffekten, Symbolen und Bewegungen eine beklemmende Untergangs-Atmosphäre entstehen, spielten schamlos mit den Assoziationen ihrer Zuschauer und setzten gezielt psychische Mechanismen in Gang. Die Musik von Otto Kränzler tat ein Übriges, das Ganze unter die Haut gehen zu lassen. 
Ein Radio-Interview mit einem Physiker bildete den Einstieg in die Performance. Von da an steuerte das Geschehen in der kleinen Kirche unaufhaltsam auf die Atomkriegs-Vision zu. Dias von Explosionen, von Atompilzen, von kleinen Menschen oder religiösen Gemälden wurden auf das weiße Tuch geworfen, vor dem sich H.R.Decker und Thea Kramel langsam, bisweilen mechanisch bewegten. Dazu die Synthesizer-Musik aus dem Lautsprecher, gelegentlich unterbrochen von Stimmen, die monoton und sachlich unterkühlt vom Ablauf eines Atomkrieges erzählten, immer und immer wieder die gleichen Sätze wiederholten. Decker und Kramel inszenierten den Wahnsinn, wagten zu Ende darzustellen, was jeder lieber von sich wegschiebt: Die Gedanken an den kollektiven Tod. Mit Symbolen wie der mittelalterliche Schutzkleidung gegen Lepra, die beide langsam von einer Bahre abnahmen und sich anlegten, mit der Siechenrätsche oder den von der Decke hängenden Brotleibern, stellten die Performance-Künstler immer wieder einen Bezug zur Geschichte des Ortes her, setzten altes Leiden der Leprakranken und neue Ängste der Erdenbewohner zueinander in Bezug. Konzequent und konzentriert agierten die beiden mit ihren Körpern, erzielten wirkungsvolle Effekte mit ihren Symbolen, etwa wenn Thea Kramel die von der Decke hängenden Brote ins Schwingen versetzte, oder Decker Wasser in ein Becken füllte, wo es ein roter Klumpen zu einer blutroten Flüssigkeit werden ließ. Die Faszination des Unaussprechbaren ließ wohl so manchen der Anwesenden nach dem Gefühl der Beklemmung und der Hilflosigkeit auch nachdenklich werden über die eigenen allzu menschlichen Verdrängungsmechanismen. Und keiner konnte es so recht glauben, als die monotone Stimme aus dem Lautsprecher abschließend anwies: "Bitte gehen Sie nach Hause, es ist nichts passiert."

Schwarzwälder Bote, 9.Mai.1988